Terence Hensley
22.07.2024
212
Terence Hensley
22.07.2024
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Kann die Schweiz das europäische Gegenstück zum Silicon Valley werden? Während London, Berlin und Paris allgemein als Europas wichtigste Startup-Zentren gelten, haben die Schweizer Städte Zürich und Lausanne in den letzten Jahren rasant an Dynamik gewonnen. Tech-Giganten und Risikokapitalgeber richten ihr Augenmerk zunehmend auf diese Städte und investieren aktiv in sie, was das wachsende Potenzial der Schweiz im Technologiesektor unterstreicht.
Gemäss dem Institut für Junges Unternehmertum (IJF) wurden in der ersten Jahreshälfte in der Schweiz mehr neue Unternehmen gegründet als je zuvor. Fast 26'000 neue Unternehmen wurden registriert, was einer Zunahme von 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Natürlich werden nicht alle von ihnen erfolgreich sein, aber die Zahl der „Einhörner“ - Unternehmen mit einer Milliardenbewertung - nimmt in der Schweiz spürbar zu, insbesondere im Technologiesektor. Zu den jüngsten Beispielen gehören der Logistiksoftware-Entwickler Scandit, das Umweltunternehmen Climeworks, der Sicherheitsspezialist SonarSource und das Online-Datenschutzunternehmen Proton. Die Schweiz ist heute führend in Europa, was die Anzahl der Technologie-Einhörner pro Kopf betrifft.
Pascal Mathis, Mitbegründer des Schweizer Risikokapitalunternehmens Wingman Ventures, ist der Ansicht, dass das rasche Wachstum von Start-ups in der Schweiz hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen ist. „Einer davon ist der kulturelle Wandel, den wir in den letzten Jahren erlebt haben: Junge Schweizer trauen sich heute viel eher, schon früh in ihrer Karriere ein eigenes Unternehmen zu gründen, als beispielsweise für eine der großen Banken zu arbeiten“, sagt Mathis. „Eine weitere entscheidende Unterstützung waren unsere fantastischen technischen Universitäten, die unglaublich talentierte Leute aus der ganzen Welt anziehen.“ Die ETH Zürich und die EFPL in Lausanne ziehen zusammen mehr Studenten an als US-Universitäten wie das MIT, sagt er.
Viele der vielversprechendsten Start-ups der Schweiz haben ihren Ursprung an diesen Hochschulen, die für ihre Leistungen in den Bereichen Robotik, Industrieautomation, künstliche Intelligenz, Computer Vision und Klimawissenschaft weltbekannt sind. Das hohe Niveau der Absolventen lockt die weltweit führenden Technologieunternehmen ins Land und stärkt das technologische Ökosystem. IBM ist seit langem in der Schweiz vertreten, und in den letzten Jahren hat sich Google mit einem Team von 5.000 Entwicklern niedergelassen. Zu den anderen grossen Unternehmen, die in der Schweiz tätig sind, gehören Disney, Nvidia, Meta, Huawei und Intel.
Das internationale Renommee der Schweiz wächst dadurch stetig. Kürzlich wurde das Land zum 14. Mal in Folge an die Spitze des Global Innovation Index gesetzt, wobei die Organisation die Bildungseinrichtungen, das Humankapital und den wirtschaftlichen Entwicklungsstand des Landes lobte. Auch die Attraktivität der Schweiz als Wohnort hat dazu beigetragen, und während die hohen Lebenshaltungskosten in der Vergangenheit ein Hindernis für Start-ups darstellten, beginnen die steigenden Preise in anderen europäischen Städten, das Spielfeld zu ebnen. „Wir haben auch sehr günstige Behörden, die bereit sind, mit Start-ups zusammenzuarbeiten“, sagt Mathis über die Steuer- und Rechtssysteme, mit denen sich die Unternehmen auseinandersetzen müssen.
Risikokapitalgeber, die die Schweiz bisher nicht in Betracht gezogen hatten, zeigen nun zunehmend Interesse. In den letzten Jahren haben Schweizer Unternehmen zum ersten Mal Finanzmittel von Investoren erhalten, darunter Bessemer Venture Partners, Sequoia, Index Ventures, GV, Atomico, General Catalyst, Left Lane Capital, Eurazeo, Eight Roads Ventures, L Catterton und Blossom Capital. Laut der Anwaltskanzlei CMS war das vergangene Jahr ein Rekordjahr für Risikokapitalinvestitionen in Schweizer Technologieunternehmen, die sich in mehr als 380 Finanzierungsrunden auf insgesamt fast 4 Mrd. CHF (ca. 4,23 Mrd. €) beliefen. „Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds hat die Schweiz ihren Ruf als bester Standort für Hightech-Investitionen bewahrt“, so Jérôme Levrat und Weik Müller von CMS.
Die Schweiz hat nun die wichtige Aufgabe, erfolgreiche Unternehmen im Land zu halten und zu verhindern, dass sie an größere Unternehmen verkauft werden oder ins Ausland abwandern. Interessant ist, dass trotz des Wachstums von Start-ups in der Anfangsphase nur ein einziges großes Technologieunternehmen an der Schweizer Börse notiert ist - der Software- und Peripheriegerätehersteller Logitech. „Fast alle Teile des Puzzles sind vorhanden; das ist unsere Chance, ein europäisches Silicon Valley aufzubauen“, sagt Mathis, „aber wir müssen härter arbeiten, um diese Unternehmen zu überzeugen, in der Schweiz zu bleiben.“ Er glaubt, dass die Unterstützung durch die Schweizer Regierung zu helfen beginnt, ebenso wie das wachsende Interesse großer Risikokapitalfirmen, die bereit sind, in späteren Runden zu investieren.
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