Terence Hensley
22.03.2024
310
Terence Hensley
22.03.2024
310
"Wendepunkt", "New Deal" oder "Win-Win": Den Verantwortlichen in der Schweiz und in Indien scheinen die treffenden Worte auszugehen, um das Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EFTA zu beschreiben, das am Wochenende nach jahrelangen, zähen Verhandlungen unterzeichnet wurde. Aber sind die Dinge wirklich so rosig?
Indien und die vier Mitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) - die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein - haben am 10 März ein umfassendes Freihandelsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen, das nach 21 Verhandlungsrunden, die sich über 16 Jahre erstreckten, zustande kam, stellt einen wichtigen Meilenstein in den Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder dar.
Die vier kleineren europäischen Länder gehen mit dem Abkommen bedeutende Verpflichtungen ein, darunter die Zusage, 100 Milliarden Dollar (87,6 Milliarden Franken) in Indien zu investieren und innerhalb von 15 Jahren eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Da Indien heute mit 1,4 Milliarden Menschen und einer wachsenden Mittelschicht das bevölkerungsreichste Land der Welt ist, birgt das Abkommen ein enormes Potenzial. Zudem ist Indien mit einem erwarteten Wirtschaftswachstum von 8,4% die am schnellsten wachsende grosse Volkswirtschaft.
Im Rahmen des Abkommens hat sich Indien verpflichtet, die hohen Zölle auf 95,3% der gewerblichen Einfuhren, ausgenommen Gold, sofort oder schrittweise abzuschaffen oder zu senken.
Indien und die vier EFTA-Länder müssen das Abkommen ratifizieren, bevor es in Kraft treten kann.
Der bilaterale Handel zwischen der Schweiz und Indien ist derzeit nicht sehr umfangreich und wird auf 17,7 Milliarden Franken geschätzt (vorläufige Zahl). Derzeit exportiert die Schweiz nach Indien vor allem Edelmetalle, technische Erzeugnisse, Pharmazeutika und Chemikalien, während die Importe hauptsächlich aus Chemikalien, Textilien, Edelmetallen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestehen.
Es wird jedoch erwartet, dass das Abkommen den Schweizer Unternehmen den Zugang zum riesigen indischen Markt erleichtert. Über 300 Schweizer Unternehmen, darunter Nestlé, Holcim, Sulzer und Novartis, sind derzeit in Indien tätig.
Nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) liegen die künftigen Chancen für Schweizer Unternehmen in den Bereichen Infrastruktur, Bauwesen, Luxusgüter, Digitalisierung, saubere Technologien und Elektromobilität. Schweizer Hersteller und Exporteure von Maschinen, Luxusuhren, Schokolade, Lebensmitteln, Getränken, Pharmazeutika und medizinischen Geräten könnten ebenfalls profitieren.
Einige Sektoren wie Milchprodukte, Soja, Kohle und "empfindliche landwirtschaftliche Produkte" sind jedoch von dem Abkommen ausgeschlossen. Der wichtigste EFTA-Export nach Indien ist Gold, vor allem aus der Schweiz, und Neu-Delhi hat erklärt, dass die Zölle auf diese Ware unverändert bleiben werden.
Nach seiner Rückkehr aus Indien zeigte sich der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin sehr zufrieden und sagte, dass das Abkommen den Schweizer Unternehmen in den kommenden Jahren einen "Wettbewerbsvorteil" verschaffen werde. Parmelen bezeichnete das Abkommen als historisch und betonte die Bedeutung Indiens für den Ausbau des schweizerischen Freihandelsnetzes und die Diversifizierung. Er sagte, dass der Wegfall der Zölle zu zusätzlichen Exporten im Wert von rund 170 Millionen Franken pro Jahr führen dürfte.
Martin Hirzel, Präsident von Swissmem, dem Dachverband der Maschinen- und Elektroindustrie, bezeichnete das Abkommen als "New Deal". Es komme zur rechten Zeit im Vorfeld eines möglichen Freihandelspakts zwischen Indien und der Europäischen Union. Mit Blick auf die Herausforderungen, die der überbewertete Schweizer Franken und der industrielle Abschwung mit sich bringen, betonte Hirzel, dass eine 20%ige Senkung der indischen Zölle für neue Wettbewerbsfähigkeit sorgen werde.
Dieser Optimismus wird jedoch nicht von allen geteilt. Thomas Cottier, pensionierter Professor für Handelsrecht an der Universität Bern, ist da vorsichtiger. Er ist der Meinung, dass das Abkommen zwar zu einer Zunahme des Handels mit Indien führen kann, aber nicht in der Lage ist, die Situation grundlegend zu verändern.
Mögliche Opposition in der Schweiz
Das Abkommen mit Indien muss noch vom Schweizer Parlament genehmigt werden. Der Ratifizierungsprozess wird bald beginnen und spätestens 2025 abgeschlossen sein.
Während das Abkommen von der Wirtschaft und den rechten Parteien unterstützt wird, gibt es bei den linken Fraktionen Zweifel. Der sozialdemokratische Nationalrat Fabian Molina betonte das Potenzial der Investitionen für eine nachhaltige Entwicklung und die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen. Es bestehen jedoch Bedenken hinsichtlich Investitionen in Sektoren wie dem Kohlebergbau oder der Abholzung von Tropenwäldern, die strenge Auflagen erfordern, um solche Ergebnisse zu verhindern.
Sollten weiterhin erhebliche politische Differenzen bestehen, besteht die Möglichkeit, dass das Abkommen einem Referendum unterzogen wird, ähnlich wie es beim Freihandelsabkommen mit Indonesien der Fall war. Im März 2021 wurde dieses Abkommen von der Bevölkerung fast abgelehnt.
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