Terence Hensley
23.01.2024
449
Terence Hensley
23.01.2024
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Die Schweiz erreicht im Globalisierungsindex regelmäßig Spitzenwerte. Die Gründe dafur sind der pulsierende Handels- und Finanzplatz, die Präsenz zahlreicher internationaler Organisationen und die geringe Größe des Landes.
Mit einer Gesamtpunktzahl von 91/100 (100 entspricht einer "vollstandigen" Globalisierung) liegt die Schweiz erneut an der Spitze des Globalisierungsindex, während Belgien und die Niederlande jeweils 90/100 erreichen. Diese drei Lander haben in den letzten zehn Jahren durchweg Spitzenplätze belegt.
Wie kann also ein Binnenland mit weniger als 500 000 Einwohnern das am starksten globalisierte Land sein?
Es gibt unterschiedliche Definitionen von Globalisierung und daher auch unterschiedliche Methoden zur Messung der Globalisierung. Einige Indikatoren zielen darauf ab, den Grad der Integration eines Landes in die weltweiten Ströme zu quantifizieren, während andere auf verschiedene wirtschaftliche und finanzielle Kriterien abstellen
Der vom Forschungszentrum der ETH Zurich zusammengestellte Index ist einer der am haufigsten zitierten Indizes, da er internationale Vergleiche ermoglicht und die Entwicklung seit 1970 verfolgt.
Er kombiniert rund 40 Variablen, die nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte der Globalisierung (insbesondere die Handels- und Finanzstrome), sondern auch die sozialen (z.B. Migration, Tourismus, kulturelle Auswirkungen) und Politik (z. B. die Zahl der internationalen Organisationen und Botschaften).
Die Globalisierung ist ein Prozess zunehmender Verflechtung und gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Landern", sagt KOF-Experte Tim Reinicke. Es ist wichtig, eine breitere Perspektive einzunehmen, denn es geht nicht nur um Wirtschaft. Im Endergebnis haben alle drei Dimensionen das gleiche Gewicht.
Fur jede dieser Dimensionen unterscheidet der Index zwischen dem Grad der effektiven Globalisierung ('de facto') und mehr oder weniger günstigen Rahmenbedingungen ('de jure') (z.B. Beitritt zu Zöllen, Visaregeln oder internationalen Vertragen).
Wie jeder Index hat auch dieser seine Grenzen. Die Auswahl der Variablen hangt stark von den verfugbaren Daten ab. Wahrend viele Statistiken zur Quantifizierung der wirtschaftlichen Globalisierung herangezogen werden können, ist der kulturelle Einfluss eines Landes auf ein anderes von Natur aus abstrakter. Daher ist die Wahl einiger Indikatoren umstritten, räumt Tim Reinicke ein. Wir haben die Anzahl der McDonald's-Restaurants und der IKEA-Filialen in den Index aufgenommen, was aber nicht auf einhellige Zustimmung gestoßen ist", sagt er.
Obwohl die Schweiz nicht an der Spitze der Liste steht, schneidet sie in allen im Index berücksichtigten Dimensionen gut ab: 86,5/100 in der wirtschaftlichen Dimension, 90/100 in der sozialen Dimension und 96/100 in der politischen Dimension.
Andere Lander weisen ein gemischteres Profil auf und schneiden in einigen Bereichen sehr gut, in anderen schlechter ab. So ist beispielsweise Singapur das wirtschaftlich am starksten globalisierte Land, liegt aber bei der sozialen Globalisierung auf Platz 22 und bei der politischen Globalisierung auf Platz 98. Die USA sind wirtschaftlich weniger globalisiert (66/100), aber politisch sehr globalisiert (92/100).
Die KOF nennt den Aussenhandel der Schweiz, der Niederlande und Belgiens als einen der wichtigsten Faktoren fur die Globalisierung der Wirtschaft.
Die Schweizer Exporte stützen sich auf Produkte mit hoher Wertschopfung wie Pharmazeutika, Chemikalien, Uhren und Maschinenbau.
Der Anteil der Importe am Schweizer BIP beträgt 60 % und liegt damit uber dem Durchschnitt der Nachbarlander (31 % in Frankreich, 42 % in Deutschland und 47 % im EU-Durchschnitt) und dem Weltdurchschnitt (28 %).
Trotz einer Art selektivem Protektionismus, insbesondere bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ist die Schweiz eine der offensten Volkswirtschaften und erhebt praktisch keine Steuern auf den Außenhandel.
Ein weiterer wichtiger Teil des hohen Globalisierungsgrades der Schweiz ist die internationale Attraktivitat des Finanzplatzes und die Stabilitat der Wahrung, was laut KOF erklärt, warum so viel auslandisches Geld in der Schweiz ausgegeben oder investiert wird.
Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle im globalen Finanzsektor", sagt Tim Reinicke. Sie ist eine der wichtigsten Handelsplattformen fur Rohstoffe und es fliesst sehr viel Geld durch sie. Was die Regulierung anbelangt, so ist die Schweiz Vertragspartei von 150 internationalen Investitionsabkommen, eine der hochsten Zahlen der Welt.
Abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten nimmt die Schweiz bei den meisten Indikatoren, die von der kof zur Bewertung des Globalisierungsgrades der Bevölkerung herangezogen werden, einen Spitzenplatz ein.
So ist sie zum Beispiel nach Luxemburg das am zweithöchsten entwickelte Land mit dem hochsten Anteil an Zuwanderern. Ein Viertel der Bevolkerung der Schweiz ist im Ausland geboren, fast 30 % im Ausland.
Obwohl die Schweiz weit hinter Frankreich, einem der weltweit führenden Tourismusziele, zurückliegt, ist sie ein beliebtes Reiseziel und eines der OECD-Lander mit dem hochsten Anteil an international mobilen Studenten (fast 20 %).
In Bezug auf die politische Globalisierung steht die Schweiz jedoch an erster Stelle. Mit mehr als 130 Botschaften und Konsulaten ist der Bund in der ganzen Welt vertreten und liegt auf Platz 17 der Lander mit der höchsten absoluten Zahl an diplomatischen Vertretungen im Ausland (China fuhrt die Liste mit 265 Posten an).
Im Gegensatz dazu beherbergt das kleine Land mit nur 90 000 Einwohnern mehr als 70 auslandische diplomatische Vertretungen sowie die meisten standigen Vertretungen (fast 80) bei internationalen Organisationen.
Die Schweiz ist Mitglied mehrerer internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen (UNO), des Europarats und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und beherbergt rund 40 dieser Organisationen, insbesondere in Genf, das auch eines der wichtigsten Zentren der internationalen Zusammenarbeit ist. Belgien, das an zweiter Stelle der Rangliste steht, beherbergt europäische Institutionen in seiner Hauptstadt Brüssel.
Die meisten der am stärksten globalisierten Volkswirtschaften sind klein und im Wesentlichen von anderen Volkswirtschaften abhangig.
Fur Lander mit kleinen Binnenmärkten, die oft nur uber wenige naturliche Ressourcen verfugen, sind offene Volkswirtschaften und Verbindungen mit anderen Landern ein Muss, wenn sie im globalen Wettbewerb bestehen wollen.
Die USA und Russland zum Beispiel können ihre eigene Produktion anbieten und brauchen keine Verbindungen zu anderen Landern", erklärt Tim Reinicke. Sie sind auch 'ihr eigenes System' und daher nicht vom globalen politischen System abhangig.
Die geringe Größe des Landes wirkt sich auch auf die Globalisierung der Menschen aus: Kürzere Entfernungen zu den Nachbarländern, weniger nationale Touristenattraktionen usw. fordern den grenzuberschreitenden Tourismus Wenn man dort lebt, kann man auch davon ausgehen, dass die Versuchung, Grenzen zu überschreiten, in kleineren Ländern größer ist.
Diese Faktoren machen die Schweiz zu einem wichtigen Akteur in der globalen Wirtschaft und Politik.
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